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SBF Persönlich

19.10.2023

© Christine Bärlocher, aus «Colline Metallifere», Bilder und Phantasien, 2021

Christine Bärlocher. Fotograf:innen haben unterschiedliche Berufs-Biographien. Manche orientieren sich nach langjähriger Fotografiearbeit neu. So auch die Zürcherin Christine Bärlocher (61).

Ab 2005 war die frühere Biologin als selbstständige Fotografin unterwegs. Ihre Bilder wurden mehrfach durch Swiss Press Photo ausgezeichnet. 16 Jahre später kam der «Bruch»: Seit 2021 engagiert sie sich im Schweizerischer Verband für Weiterbildung (SVEB) mit Storytelling und Vernetzungsarbeit für die Förderung von Grundkompetenzen am Arbeitsplatz.

Christines Weg in die Fotografie führte über ein Biologiestudium (1987) und eine künstlerische Grundausbildung an der Schule für Gestaltung in Zürich. Später schloss sie die Fotografieausbildung GAF ab. Während 15 Jahren setzte sie Projekte und Kampagnen zu Umweltthemen um, davon 7 Jahre im internationalen Programm des WWF Schweiz. Der SBF Redaktion erzählt sie von ihrem Entschluss, den Beruf zu wechseln und wie sich Biologie und Fotografie für sie ergänzten. 

Warum hast du die hauptberufliche Fotografie aufgegeben? Ich merkte, dass ich als redaktionelle Fotografin für Medien in eine immer unsicherere finanzielle Situation rutsche. Den Corporate-Bereich sah ich nicht als tragfähige Alternative. Ich fragte mich, welche meiner Fähigkeiten ich breiter einsetzen könnte.

Von selbstständig zu angestellt – war das schwierig? Der Entscheid und der Weg dahin waren nicht einfach. Mich zu bewerben, fühlte sich oft nicht «richtig» an. Es schien unmöglich, als Fotografin durch die HR-Algorithmen zu kommen. Es brauchte Fantasie, um herauszufinden, welche Stellen infrage kommen. Nach Umwegen hat es über ein normales Inserat und ohne «Vitamin B» geklappt.

Was sind die Vorteile einer Anstellung? Viele! Es befreit, wenn Ende Monat der Lohn auf dem Konto ist. Ich arbeite in einem Team und einer Institution an Projekten, die mir als Einzelfirma kaum zugänglich wären. Die Kehrseite sind die schwerfälligen Prozesse im Umfeld der Bildungsverwaltung. Ich sitze viel in Meetings und am Computer. Ich vermisse die «Flow-Momente» der Fotografie.

Du siehst einen klaren Bezug zwischen der Biologin und der Fotografin. Kannst du das erklären? Die Verbindung bin ich selber als Person. Ich habe eine stark ausgeprägte, analytische und eine kreative Seite. Beides braucht Platz. Das strukturierte Denken und die Affinität für Technik der «Biologin» helfen mir viel in der Fotografie. Das Künstlerische kommt in der Bildgestaltung zum Tragen. Es braucht Kreativität, um unter den meist nicht optimalen «on-location» Bedingungen schnell Lösungen zu finden und gleichzeitig den Fokus für das gewünschte Bild, für die Story, nicht aus den Augen zu verlieren.

Im Gegensatz zu anderen fotografierst du keine Naturthemen. Es ist fast stereotyp, dass mich Leute fragen, ob ich Pflanzen fotografiere. Ich wollte nach meinem Job beim WWF in neue Felder eintauchen, zudem studierte ich Mikrobiologie. Ich wurde für Reportagen und Porträts von Jugendlichen, Familien und Bildung gebucht, auch für Interviews aller Art. Das gab mir neue Einblicke quer durch die Schweizer Gesellschaft.

Viele Fotografi:nnen fotografieren Landschaften, um mit den Bildern für den Klimawandel zu sensibilisieren. Dafür jetten sie durch die Welt. Warum dieser Widerspruch? Diesen Widerspruch gibt es auch bei den NGO’s. Man muss sich kritisch hinterfragen, was man gegen den Klimawandel bewirken will, bevor man dafür um den Globus jettet. Dürren, Fluten, Waldbrände und schmelzendes Eis werden grandios in apokalyptische Bilder umgesetzt. 

Was bewirken diese Bilder? Die arme Bäuerin auf dem trockenen Acker gehört zu den stark Betroffenen. Aber die Sujets sind inflationär und zeigen die Ursachen nicht. Wir sind die Treiber:innen des Klimawandels, das wissen wir seit Jahrzehnten. Wie kann Fotografie einen Wandel in Gang setzen, die Politik, das Konsumverhalten ändern? Es stellen sich ähnliche Fragen wie in der Kriegsfotografie.

Wie schaffst du deinen aktuellen Job mit der Tätigkeit als nebenberufliche Fotografin? Ich schaffe es nicht. Zu Beginn meiner Anstellung hatte ich schöne Aufträge und musste sie weitergeben. Davor versuchte ich es mit Teilzeitpensen, mit dem Ergebnis, dass beides nicht befriedigend war. Jetzt arbeite ich 80% und fotografiere kleinere Aufträge, wenn ich ohne Termindruck arbeiten kann. Und ich blicke voraus: Was kann ich nach meiner Pensionierung mit meiner Kamera noch anstellen? Man kann sich nicht früh genug mit Neuorientierungen auseinandersetzen.

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